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Allgemeines 

Das französische Kernkraftwerk Cattenom ist - nach KKW Gravelines - das KKW mit der zweitstärksten installierten Leistung in Frankreich. Am Standort werden vier Druckwasserreaktoren der französischen Type P4, mit einer Bruttoleistung von je 1367 MWe und einer nominalen Netzleistung von 1300 MWe betrieben.

Das Kraftwerk liegt im Nordwesten Frankreichs zirka 12 Kilometer von der deutschen und 20 Kilometer von der luxemburgischen Grenze im lothringischen Departement Moselle. Es ist 8 Kilometer von der Kleinstadt Thionville entfernt. Die namensgebende kleine Ortschaft Cattenom liegt wenige Kilometer östlich der Anlage. Das Kraftwerksgelände umfasst 415 Hektar (4,15 km2). Jeweils zwei Blöcke sind nebeneinander positioniert. Unweit der Anlage befindet sich ein Stausee, der auch zu Kühlzwecken herangezogen werden kann. Zur Nachkühlung der Blöcke wird dem Rheinzufluss Mosel Frischwasser entnommen und über ingesamt 4 Naturzug-Kühltürme verdampft (ein Kühlturm pro Block). Betreiber des Standorts Cattenom ist der für alle französischen Kernkraftwerke verantwortliche staatliche Energiekonzern EDF. 6 Prozent der Produktionsleistung werden laut einem Vertrag, der bereits bei der Projektierung und Errichtung aufgesetzt wurde, an die schweizerische BKW FMB Energie AG (Bernische Kraftwerke AG) abgetreten. Der Anteil der Produktionsleistung wird in die Nordwestschweiz geleitet und dort in das Schweizerische Netz eingespeist.

Cattenom war auch als einer der Standorte für einen EPR (europäischen Druckwasserreaktor) in die engere Auswahl gekommen. Letztlich fiel die Entscheidung aber auf den nordfranzösischen Kraftwerksstandort Flamanville, an dem sich erst zwei Blöcke befinden. Für den geplanten zweiten EPR in Frankreich wurde Penly ausgewählt.


Wichtige Zahlen im Überblick

 ReaktortypLeistung
(MW elektrisch)
FertigstellungBetriebsende
Cattenom 1 Druckwasserreaktor, Baulinie P4 REP 1300 13001 (1362)2 13.11.1986 offen
Cattenom 2 Druckwasserreaktor, Baulinie P4 REP 1300 13001 (1362)2 17.09.1987 offen
Cattenom 3 Druckwasserreaktor, Baulinie P4 REP 1300 13001 (1362)2 06.07.1990 offen
Cattenom 4 Druckwasserreaktor, Baulinie P4 REP 1300 13001 (1362)2 27.05.1991 offen

1Nettoleistung ohne Eigenbedarf
2Bruttoerzeugung inklusive Eigenbedarf

  • Entfernung von Wien (Luftlinie): etwa 750 Kilometer
  • Anteil der Anlage an der Stromerzeugung in Frankreich: 6,1 Prozent (2010)
  • Anteil der Stromerzeugung aus Kernenergie in Frankreich: ca. 77,71 % (421,1 TWh 2011)
  • Energieeinspeisung seit Inbetriebnahme: 824,30 TWh (Stand: 03.03.2012, Blöcke 1, 2, 3, 4)
  • Jahresstromerzeugung der Anlage: 35,0 Milliarden kWh (2010, Blöcke 1, 2, 3, 4)
  • Jahresstromerzeugung in Frankreich: 541 TWh (2011)

Bisherige schwere Stör- und Zwischenfälle

Am Standort Cattenom kam es bisher zu keinen größeren Unfällen oder bedeutender Freisetzung von Radioaktivität. Im Rahmen des Betriebes kam es jedoch wie in allen KKW zu verschiedenen - überwiegend kleineren - Unregelmäßigkeiten und Störungen. Diese führten teils auch zur Beeinträchtigung der Sicherheit, weshalb manche Eingang in die Jahresberichte des Betreibers und der Aufsichtsbehörde und die INES-Datenbank der IAEA gefunden haben.

Dabei liegen den Fehlern zwei wesentliche Faktoren zu Grunde:

  • menschliche Fehler beim Betrieb oder der Wartung mit daraus resultierender Beeinträchtigung der Sicherheit
  • technische Gebrechen wie etwa die neutronenbedingte Versprödung von Komponenten

Ein Vorfall mit der Leckage von Brennelementen (2000) besitzt eine erhöhte Signifikanz und deutet auf ein ungünstiges Zusammenspiel von technischer Degradation und dem Mangel an geeignetem Instrumentarium oder dessen Umsetzung bei der Erkennung schwerwiegender Defizite in der Anlage hin.

Exemplarisch für die Vorfälle in Cattenom sind folgende Ereignisse:

  • Eine Reihe meldepflichtiger Ereignisse, die keinen konkrete Schäden für die Umwelt verursachen, aber dennoch sicherheitsrelevant sind. Dazu zählt etwa das fehlerhafte Ansprechen oder Versagen von Sicherheitssystemen bei deren Test.
  • August-September 2000: In Block 3 wurde eine ansteigende Kontamination im Primärkühlmittel gemessen, die auf die Leckage von Brennstäben schließen ließ. Nach Drängen durch die Aufsichtsbehörde wurde der Block abgefahren und die Brennelemente inspziert. Insgesamt 92 Brennstäbe (von insgesamt etwa 40.000) wiesen Haarrisse auf, aus denen leichtflüchtige radioaktive Spaltprodukte aus dem Brennstoff ins Kühlmittel entwichen. Der Vorfall wurde mehrere Monate lang untersucht und Block 3 erst Mitte 2001 wieder ans Netz genommen. Als Ursache für die Beschädigung der Brennstäbe wurde „Fretting“ festgestellt. Dies bezeichnet die mechanische Ermüdung des Hüllrohrmaterials aufgrund starker Vibrationen, ausgelöst durch das vorbei strömende Wasser in Verbindung mit den Eigenschaften der Halterungen der Brennstäbe. Im schlimmsten Fall hätte die mechanische Zerstörung beschädigter Elemente dazu führen können, dass die Wege der Absorberstäbe verlegt und die Abschaltfähigkeit des Reaktors beeinträchtigt worden wäre.
  • Am 16.05.2004 kommt es zu einem Brand in einem Kabelschacht in Block 2. Nach cirka 2 Stunden kann das Feuer gelöscht werden. Es werden keine sicherheitstechnischen Anlagen berührt, es tritt keine Radioaktivität aus und es wurden keine Personen verletzt.
  • Im Juni 2007 informierte der Betreiber EDF, dass verhältnismäßig hohe Konzentrationen an Zink in die Mosel emittiert wurden. Dabei wurden auch geltende Grenzwerte kurzfristig überschritten. Die Mosel fließt von Cattenom aus nach Osten und mündet in den Rhein, weshalb verschiedene deutsche Kommunen potenziell betroffen waren.

Position der Wiener Umweltanwaltschaft

Das Kraftwerk Cattenom liegt 750 Kilometer nordwestlich von Wien. Es befindet sich damit außerhalb jener Zone, in der bei einem schweren Unfall kurzfristig mit unmittelbaren Folgen zu rechnen ist. Bei dieser Entfernung ist bei schweren Unfällen mit einer längeren Vorwarnzeit und Folgen für Österreich, die jenen nach Tschernobyl entsprechen, zu rechnen.

Die Wiener Umweltanwaltschaft stellt im Hinblick auf eine langfristig nachhaltige Klimapolitik Energiesparen und Energieeffizienz an oberste Stelle. Die Kernenergie ist keine nachhaltige Technologie und mit einer Vielzahl von Risiken und Problemen verbunden. Frankreich hat mit seinem weltweit einzigartigen Anteil von fast 80 Prozent Kernenergie an der Stromerzeugung eine enorme Hypothek für die Zukunft. Es wird langfristig notwendig, einerseits Lösungen für die bereits angehäuften Probleme (Abfälle) zu finden, als auch den Umstieg zu einer nachhaltigen Energieversorgung  zu vollziehen. Unter Bedachtnahme auf eine gesamteuropäische Gestaltung sollte auf einen breiten Dialog im europäischen Raum gesetzt werden, um eine tragfähige Zukunftsperspektive für die Energiepolitiken zu entwickeln und umzusetzen.


Technische Spezifikationen und Sicherheitssysteme

Technische Spezifikationen

Die Festlegung auf den Standort Cattenom für ein KKW erfolgte 1978 auf Basis verschiedener geologischer Gutachten, die die technischen und ökonomischen Untersuchungen ergänzten. Jeder der vier Kraftwerksblöcke ist als unabhängige Produktionseinheit konzipiert und verfügt über ein Reaktorgebäude mit Volldruckcontainment, ein angrenzendes Maschinenhaus, einen Kühlturm und diverse Nebengebäude. Block 1 ging 1986 in Betrieb, Block 2 ein Jahr später. Die Blöcke 3 und 4 folgten 1990 und 1991. Nach dem INB (installation nucléaire de base)-Katalog lauten die Nummern der Blöcke in aufsteigender Reihenfolge 124, 125, 126 und 137. Die Blöcke sind nahezu baugleich. Das nukleare Dampferzeugungssystem besteht aus einem Reaktordruckbehälter, der im Zentrum des Containments untergebracht ist und in dem die Brennelemente mit schwach angereichertem Urandioxid geladen sind. Zur Abführung der Wärme für die Stromerzeugung stehen 4 Primärkühlmittelschleifen zur Verfügung. Jede Schleife enthält einen stehend angeordneten Dampferzeuger und eine Primärkühlmittelpumpe (Hauptumwälzpumpe), die das im Dampferzeuger abgekühlte Primärwasser wieder zum Reaktor fördert. In den Dampferzeugern wird die Prozesswärme an das unter geringerem Druck stehende Sekundärwasser/Speisewasser übertragen, welches im oberen Bereich der Dampferzeuger verdampft. Der Frischdampf wird mit Rohrleitungen aus dem Containment geführt und in das Maschinenhaus zur Hochdruckturbine geleitet. 

Die Wärmeleistung jedes Reaktorblocks entspricht etwa 4000 MWth. Der thermische Gesamtwirkungsgrad der Umwandlung in Strom, nach Abzug des Eigenbedarfs, liegt bei etwa 33 Prozent.

Sicherheitssysteme  

Die Anlagen folgen einem relativ modernen Konzept hinsichtlich Aufbau und Betrieb unter dem Fokus der Sicherheit. Sie werden signifikant erst durch die in Bau befindlichen Anlagen der Generation 3+ übertroffen (EPR und neue WWER-Anlagen). Der Reaktortyp P4 verfügt über alle gängigen Sicherheitssysteme aus der Zeit seiner Errichtung, dazu zählen: 

  • Hochdrucknoteinspeisesystem in mehrfacher Auslegung, Akkumulatoren
  • Not- und Nachkühlsystem mit Pumpen zur Abführung der Nachzerfallswärme
  • Notstromdieselgeneratoren zur Aufrechterhaltung der Stromversorgung bei Wegfall des externen Netzes und gleichzeitigem Ausfall der Umstellung auf Eigenbedarf
  • Stahlbeton-Volldruckcontainment
  • Wasserstoffrekombinatoren
  • System mit mehrfachen unabhängigen Barrieren zur Rückhaltung radioaktiver Stoffe, die in den Systemen unfallbedingt freigesetzt werden könnten
  • Brandmelde- und Bekämpfungsanlagen
  • Strahlenmonitoringsysteme innerhalb und außerhalb der Anlagen für Alpha- Beta- Gamma- und Neutronenstrahlung
  • Notabschaltsystem

Die wichtigen Sicherheitssysteme sind mehrfach und mit eigener Signalverarbeitung und Stromversorgung ausgeführt, um beim Systemversagen immer noch die Aufgaben wahrnehmen zu können. Der Stabeinwurf zur Notabschaltung erfolgt bei Energieausfall automatisch und durch die Schwerkraft, die Akkumluatoren mit Notkühlwasser zur Kernflutung bei Kühlmittelverluststörfällen stehen unter Gasdruck, um ohne Pumpen eingreifen zu können und sind vierfach ausgelegt.

Mithilfe der Sicherheitssysteme soll gewährleistet werden, dass Unfälle die statistisch häufiger als mit einer Frequenz von 10-6 eintreten (Auslegungsstörfälle) sicher beherrscht werden, selbst wenn das wirksamste Sicherheitssystem im Störfall versagt. Störfälle mit größerer Häufigkeit (Antizipierte Betriebsereignisse) unterliegen darüber hinaus schärferen Kriterien.


Kritikpunkte

In den Jahren 2003 und 2004 war es zwischen der Standortregion Lothringen (Frankreich) und dem deutschen Saarland sowie Luxemburg zu politischen Debatten gekommen, da das Kernkraftwerk höhere Grenzwerte für die Ableitung radioaktiver Stoffe in den Rhein-Zufluss Mosel beantragt hatte. Es stellt sich die Frage warum entgegen dem international etablierten Trend zur fortwährenden Reduktion von Grenzwerten und Limits für die Emission gasförmiger, fester und flüssiger radioaktiver Stoffe aus Kernkraftwerken und kerntechnischen Anlagen das relativ moderne Kernkraftwerk Cattenom einen umgekehrten Weg beschreitet.

 

Letztlich wurden die Grenzwerte nach dem außerordentlich engagierten Einsatz von Umweltgruppen und Bürgerinitiativen einvernehmlich festgesetzt. Höhere Transparenz und die Möglichkeit der öffentlichen Stellungnahme und Beteiligung im Rahmen von Verfahren bei substantiellen Entscheidungen, auch grenzüberschreitend, wird immer wieder eingefordert hat allerdings nach wie vor wenig Raum. 


 

Internationale Forderungen 

 

Die französische Kernenergiewirtschaft ist die größte in Europa. Internationalen Forderungen nach höherer Sicherheit oder mehr Transparenz folgt zumeist der Hinweis auf eigene Kompetenz und langjährige Erfahrung. Dies ist inhaltlich korrekt, vernachlässigt aber den zunehmend europäischen Ansatz im Bereich der Energiewirtschaft, dem Umweltschutz und der Adressierung von substantiellen Sicherheitsanliegen aller Bürger/innen. Die Transparenz der Vorgänge, Motivationen und Tatsachendarstellungen sollten von der französischen Kernenergiewirtschaft mehr in den Vordergrund gestellt werden, als dies bisher geschah. Darin macht auch das Kernkraftwerk Cattenom keine Ausnahme. Wesentliche Informationen, wie Jahresberichte, Anlagenstatus und Pläne des Betreibers sollten in verschiedenen europäischen Sprachen verfügbar sein, zumal es sich um ein grenznahes Kraftwerk handelt. Darüber hinaus kann die Erfüllung von internationalen Vereinbarungen, wie der ESPOO-Konvention, etwa bei Anlagenerweiterungen nicht nur von den neuen EU-Mitgliedsländern eingefordert werden, sondern muss – mit gutem Beispiel voran – auch von den alten und großen Staaten vorgelebt werden. Auch im Sinne der französischen Energiepolitik, um Missverständnisse und Kommunikationslücken mit den Nachbarn und der Gemeinschaft zu vermeiden.


Verwendete Quellen und Links

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