Benedikt Heger, Wiener Umwweltanwaltschaft
Memory im Schnee
Es ist Sonntagfrüh, der Wind wirft mir den frisch fallenden Schnee ins Gesicht und zerrt an meinem Anorak. Von der Kälte werden meine Finger langsam taub. Kein Wunder, klammern sie sich doch an das metallene Magnesiumgehäuse meiner Kamera! Aber das raue Wetter macht mir in diesem Moment nichts aus, denn durch das Teleobjektiv meiner Kamera blicke ich auf ein kleines, braunes Eichhörnchen, welches sich hochmotiviert seinen Weg durch das Schneegestöber bahnt.
Ich bin gerade am Weg nach Schönbrunn, hinauf zur Gloriette, als ich das Tier im weißen Schnee entdecke. Emsig versucht es seine zuvor versteckten Vorräte zu finden, um sich nun durch die harsch hereinbrechende Kälte zu bringen. Eichhörnchen halten keinen Winterschlaf per se, sondern reduzieren, wie viele Tiere, im Winter ihre Körpertemperatur, um weniger Ressourcen, wie Körperfett, zu verbrauchen. Hin und wieder müssen die quirligen Tiere aber hinaus in die Kälte, um ihre zuvor sorgfältig versteckte Nahrung zu finden.
Mein Eichhörnchen hatte Erfolg: zufrieden knabbert es an einer ausgegrabenen Erdnuss. Nicht ganz regionale Kost, wie Walnüsse oder Eicheln, aber trotzdem voller wichtigen Fette. Ich schieße ein paar Fotos, wie es sich durch das Schneegestöber in eine schützende Baumhöhle kämpft.
Beim Fotografieren von Wildtieren ist es immer das oberste Gebot, die Tiere nicht unnötigem Stress auszusetzen. Die Tiere in Schönbrunn sind Menschen auf den Wegen der Schlossparkanlage gewöhnt. Bleibt man also dort und macht sich vielleicht auch noch etwas kleiner, in dem man sich hinhockt, können interessante Fotos von „entspannten“ Wildtieren, quasi auf Augenhöhe, entstehen.
Nach ein paar Aufnahmen gehe ich weiter. Bei den Tieren im Park herrscht Ausnahmezustand. Der plötzliche Schneefall nach den wärmeren Tagen hat viele Tiere überrascht. Emsig suchen sie im kalten Neuschnee nach Nahrung.
Ast-Akrobaten & Baum-Musiker
Ich stapfe gerade nachdenklich durch den Schnee, als ich, etwas über meiner Augenhöhe, Bewegung in den Ästen einer alten Eiche bemerke. Ein Kleiber umrundet spielerisch den dicken Baumstamm, als wäre es eine Wendeltreppe. Sein leuchtendes graublau/oranges Federkleid springt einem dabei sofort ins Auge.
Die kleinen Vögel sind wahre Akrobaten am Baumstamm und klettern auf der Suche nach der nächsten Mahlzeit auch kopfüber den Stamm hinunter. Dabei hilft ihnen ihr kleiner schmaler Schnabel mit welchem sie die feinen Ritzen des Baumes absuchen. Jagen Kleiber im Sommer Insekten auf Bäumen, so satteln sie im Winter auf Samen und Beeren um. Wie schon das Eichhörnchen legen sie dabei geschickt in Asthöhlen und anderen geeigneten Stellen am Baum kleine Nahrungslager für schlechtere Zeiten an.
Der Kleiber, den ich beobachte, hat jedoch ein anderes Ziel: eines der prall gefüllten Vogelhäuschen, welche überall im Schlossgarten aufgestellt wurden. Nur noch schnell an den vielen dort anwesenden Kohl- und Blaumeisen vorbeigeschlüpft, schon ist der Kleiber mit ein paar Körnern im Schnabel wieder in den Ästen verschwunden. Die verwunderte Blicke der anwesenden Meisen sind ihm dabei sicher.
Kleiber, im Volksmund auch Spechtmeisen genannt, erinnern nicht nur durch ihre Nahrungssuche am Baum an ihre Namensvetter. Auch sie bevorzugen Löcher in Bäumen als Brutplätze. Hierbei nisten sie sich dabei besonders gerne in alte Spechthöhlen ein, deren Öffnung sie dann mit kleinen gesammelten Lehmkügelchen so verkleben, dass nur noch sie selbst durch die Haustüre passen. Hiervon rührt auch der Name Kleiber (= Kleber).
Ich schaffe es noch ein paar kurze Bilder von meinem kleinen Kleiber zu schießen, als schon der nächste Vogel sehr laut nach meiner Aufmerksamkeit verlangt.
Hinter mir, auf einer schon sehr zerlöcherten Eiche, sitzt ein Buntspecht und hämmert gegen den Baum. Spechtarten lieben ihre Instrumente. Mittels lauter Klopfgeräusche stecken sie ihre Reviere ab und locken potentielle Partner an. Hierfür nutzen sie besonders gerne jene Äste und Stämme, welche einen besonderen Klang produzieren. Das Hämmern dient aber auch der Nahrungssuche. Mit ihren robusten Schnäbeln und langen Zungen holen die geschickten Tiere Insekten aus dem Holz. Spechte besitzen dazu einen ganz speziellen Knochenbau, der ihr Gehirn und ihre Wirbelsäule vor den Erschütterungen des Klopfens schützt.
Während ich noch fasziniert zu dem Buntspecht hinaufblicke, fliegt vor mir ein Mittelspecht zum Vogelhäuschen und mir gelingt ein kurzer Schnappschuss. Obwohl er etwas zu groß für das Häuschen wirkt, schafft er es geschickt sich mit wertvollen Proteinen einzudecken. Mittelspechte haben eine große, leuchtend rote Kappe, gestrichelte Flanken und sind im allgemeinen stiller als ihre laut hämmernden Verwandten die Buntspechte.
Geflügelte Winterurlauber
Nun ist es rund um die Futterstelle wieder ruhiger geworden und ich beschließe weiterzuziehen. Vor der Gloriette biege ich nun ab und gehe hinunter zum davorliegenden Teich. Auf dem kalten Eis sitzt eine große Gruppe Lachmöwen. Da ihre Füße mit mehreren Kälteschutzmechanismen geschützt sind, frieren sie nicht fest und verlieren durch sie auch keine Körperwärme. Immer mehr der unerschrockenen Tiere ziehen über meinen Kopf und gesellen sich zu der Truppe am Eis. Die rauen Rufe erfüllen die Luft und geben dem Schneegestöber eine seltsam maritime Atmosphäre.
Nachdem ich ein paar der wunderschönen Tiere fotografiert habe, mache ich mich auf den Heimweg! Die vielen tollen Eindrücke waren das raue Wetter auszuhalten eindeutig wert. Durch die Schwankungen unserer klimatischen Bedingungen werden sich viele Tiere an die plötzlichen Wintereinbrüche gewöhnen müssen. Für viele unserer fragileren Tierarten, wie beispielsweise die Schmetterlinge, bedeuten solche Schwankungen leider oftmals den Tod. Aber kein Wildtier wird von diesen Veränderungen verschont bleiben. Es liegt also in unserer Verantwortung noch rechtzeitig Lösungen für das Mammut-Problem der Klimakatastrophe zu finden.
© Fotos: Benedikt Heger