Die Ernährung ist ein grundlegendes Bedürfnis des menschlichen Lebens und überdies ein Menschenrecht. Darüber hinaus stellen Lebensmittel eine Verbindung zwischen der Natur, Gesundheit, Kultur und Existenz dar. Das derzeitige Agrar- und Lebensmittelsystem und das individuelle Konsumverhalten, wie etwa Einstellung und Wertschätzung gegenüber den Nahrungsmitteln, haben dazu geführt, dass ein globales Ungleichgewicht im Ernährungssystem entstanden ist. Dieses Ungleichgewicht ist eng mit Überproduktion und unvorstellbaren Mengen an Lebensmittelabfällen verknüpft. Sie entstehen entlang der gesamten Wertschöpfungskette beginnend in der landwirtschaftlichen Produktion, in der Lebensmittelindustrie bis zum Einzelhandel und privaten Haushalten.
Aber was sind eigentlich Lebensmittelabfälle, wie werden diese definiert? Ist ein entsorgter Apfel mit Druckstellen oder eine Orangenschale ein Lebensmittelabfall oder eher ein Joghurt mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum? In Bezug auf die Definition des Begriffes „Lebensmittelabfälle“ herrschen nach wie vor Unklarheiten, da eine einheitliche Definition fehlt.
Definition der Lebensmittelabfälle
Die Definition von Lebensmittelabfällen ist weltweit nicht einheitlich geregelt bzw. festgelegt. Diese Problematik ist bedingt durch die unterschiedlichen länderspezifischen und kulturellen Ansichten der Bedeutung des Begriffes „Lebensmittelabfall“ sowie in der Übersetzung dieses Begriffes (meistens aus dem Englischen in die jeweilige Sprache). Nicht in jedem Kulturkreis bzw. in jeder Gesellschaft hat der Begriff die gleiche Bedeutung. Die Definitionen variieren von Land zu Land und in den Forschungsstudien sind sie ebenfalls je nach Fokus, Systemgrenzen und Akteur*innen unterschiedlich definiert. Durch das Projekt FUSIONS (Food Use for Social Innovation by Optimising Waste Prevention Strategies) wurden über 100 Definitionen für Lebensmittelabfälle registriert. Im Allgemeinen wird die Definition der FAO herangezogen um den Begriff zu beschreiben.
Die Welternährungsorganisation (FAO) unterscheidet zwischen Lebensmittelverlusten (Food Losses), Lebensmittelabfällen (Food Waste) und Lebensmittelverschwendung (Food Wastage). Der Begriff der Lebensmittelabfälle (Food Waste) definiert jene Nahrungsmittel, die ursprünglich für die menschliche Ernährung bestimmt waren, aber aus mannigfachen Gründen weggeworfen wurden. Dies entsteht vorwiegend am Ende der Lebensmittelkette, wie etwa im Einzelhandel, in der Gastronomie und bei den Konsument*innen. Beispielsweise ist das Wegwerfen eines Lebensmittels aufgrund einer falschen Aufbewahrung, des abgelaufenen Mindesthaltbarkeitsdatums oder eines Fehlkaufes eine Lebensmittelverschwendung. Lebensmittelverluste (Food Losses) umfassen alle Nahrungsmittelverluste, beginnend bei der landwirtschaftlichen Produktion und der Verarbeitung bis zum Großhandel. Sie entstehen am Beginn der Lebensmittelwertschöpfungskette. Sie sind häufig ein Ergebnis zu langer Lagerungszeiten, Überproduktion, fehlender Kenntnisse, einer unzureichenden Transport- und Lagerungstechnik sowie der Nicht-Einhaltung von Qualitäts- und Verpackungsstandards, aber auch Naturkatastrophen. Der Begriff Lebensmittelverschwendung (Food Wastage) bezieht sich auf Lebensmittel, welche durch eine Verschlechterung oder Verschwendung verloren gehen und wird zusammenfassend für Lebensmittelverluste und Lebensmittelabfälle verwendet.
Das Europäische Parlament definiert als Lebensmittelabfälle alle verzehrfähigen bzw. genießbaren Lebensmittel, welche entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette aufgrund von ästhetischen, ökonomischen oder anderen Motiven, wie etwa kurze Mindesthaltbarkeitsrestzeit, entsorgt werden. Diese Entsorgung von genießbaren Lebensmitteln erfolgt auch unter anderem aufgrund mangelnder Verwendungsalternativen.
Grundsätzlich sind unter Lebensmittelverschwendung (Lebensmittelabfälle und Lebensmittelverluste), jene Lebensmittel zu verstehen, welche aufgrund unterschiedlicher Beweggründe (z. B. kulturell, technologisch und wirtschaftlich) aus der Wertschöpfungskette entfernt worden sind. Diese Lebensmittel wurden für die menschliche Ernährung angebaut und produziert, aber nicht konsumiert. Sie dienen nicht mehr dem ursprünglichen Zweck der menschlichen Ernährung.
Drei Kategorien von Lebensmittelabfällen
Lebensmittelabfälle werden auch in vermeidbare, teilweise vermeidbare und nicht vermeidbare Lebensmittelabfälle unterteilt. Unter dem Begriff der vermeidbaren Lebensmittelabfälle werden jene Lebensmittelabfälle verstanden, die uneingeschränkt genießbar sind oder bei rechtzeitiger Verwendung essbar gewesen wären (z. B. Obst, Brot, Milchprodukte). Vermeidbare Lebensmittelabfälle haben unterschiedliche Ursachen. Sie entstehen sowohl in der Produktion (etwa Überproduktion) als auch im Handel (etwa aufgrund der Retournierung von Waren) und im Konsum (Fehlinterpretation von Kennzeichnungen). Nicht vermeidbare Lebensmittelabfälle sind nicht essbare Teile eines Lebensmittels, wie z. B. Knochen, Eierschalen, Teebeutel. Zu den nicht vermeidbaren Abfällen gehören auch landwirtschaftliche Erzeugnisse, welche aufgrund der Witterungsbedingungen oder Schädlingsbefall nicht geerntet werden können. Teilweise vermeidbare Lebensmittelabfälle entstehen aufgrund unterschiedlicher Ernährungsgewohnheiten der Verbraucher*innen (z. B. Brotrinde, Speisereste). Häufig sind Lebensmittelabfälle Mischungen aus vermeidbaren und nicht vermeidbaren Lebensmittelabfällen, wie z. B. Kantinenabfälle.
Inakzeptable Verschwendung
Weltweit werden 1,3 Milliarden Tonnen an Lebensmitteln entsorgt. Die Ursachen und Motivationsgründe sind in den Weltregionen unterschiedlich. Fakt ist aber, dass jährlich ein Drittel der für die menschliche Ernährung produzierten Lebensmittel entsorgt wird bzw. verloren geht. Alleine in der Europäischen Union sind es jährlich 88 Millionen Tonnen, im Wert von geschätzten 143 Milliarden Euro. Diese Lebensmittel wurden angebaut, geerntet, transportiert, verarbeitet, gekühlt, zubereitet und letztendlich entsorgt. Bevor ein Lebensmittel überhaupt im Supermarktregal ankommt, ist es bereits durch etwa 33 Hände gegangen. In der Herstellung der entsorgten Lebensmittel werden unnötig Energie, Wasser, Pflanzenschutzmittel, Dünger und Ackerfläche verbraucht. Damit werden wertvolle Ressourcen verschwendet. Mit unseren Ernährungsweisen und unserem Konsumverhalten beeinflussen wir nicht nur unsere Gesundheit, sondern bewirken auch ökologische, ökonomische, soziale sowie ethische Auswirkungen. Wir leben in einer Konsumgesellschaft mit einem höchst wirkungsvollen Versorgungssystem und dabei produziert unser Wohlstandssystem eine enorme Verschwendung. Der unverantwortliche und verschwenderische Umgang mit Lebensmitteln bzw. natürlichen Ressourcen ist absolut als inakzeptabel zu betrachten. Mit dem gegenwärtigen Lebensmittelsystem ist es künftig nicht möglich, die wachsende Bevölkerung ausreichend zu ernähren, ohne das Klima und die Biodiversität sowie die natürlichen Ressourcen gravierend zu beinträchtigen bzw. zu zerstören. Lebensmittelabfälle gehen uns alle an, sie betreffen Produzenten, Verarbeiter, Handel und private Haushalte, aber auch politische Akteure und die Gesellschaft insgesamt. Sie stehen in einem Widerspruch zu nachhaltigen Zielsetzungen, wie die Bekämpfung des globalen Hungers, Gewährleistung der Ernährungssicherheit und Schutz der natürlichen Ressourcen und Ökosysteme.
Lebensmittel sind ein wertvolles und lebensnotweniges Gut. Ohne einen sorgsamen Umgang mit den Lebensmitteln entlang der gesamten Wertschöpfungskette und deren Wertschätzung wird es nicht möglich sein, die globalen Nachhaltigkeitsziele zu realisieren. Die Entsorgung einwandfreier Lebensmittel muss auf jeder Stufe kritisch betrachtet und dagegen mit verbindlichen Maßnahmen gehandelt werden.
WUA Blog: Lebensmittelabfälle – eine inakzeptable Verschwendung!
Mehr Informationen:
- Magistratsabteilung 22 – Umweltschutz
- Lebensmittelaktionsplan "Wien isst G.U.T."
- ÖkoKauf Wien
- United Against Waste
- FAO
- Zero Food Waste
- FUSIONS
- Lebensmittelabfälle - ein großer Schaden für Menschen und Umwelt, WUA
Quellen:
- McMichael, P. (2000): The power of food. In: Agriculture and Human Values 17(1)
- Koester, U., Empen, J., Holm, T. (2013): Food Losses and Waste in Europe and Central Asia. Draft Synthesis Report. Food and Agriculture Organization of the UN
- FAO (2013): Food wastage footprint, Impacts on natural resources. Summary Report. Food and Agriculture Organization of the United Nations
- Kranert, M., Hafner, G., Barabosz, J., Schuller, H., Leverenz, D., Kölbig, A., Schneider, F., Lebersorger, S., Scherhaufer, S. (2012): Ermittlung der weggeworfenen Lebensmittelmengen und Vorschläge zur Verminderung der Wegwerfrate bei Lebensmitteln in Deutschland. Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), Stuttgart
- Salihovic, D. (2015): Der Einfluss lebensmittelrechtlicher Rahmenbedingungen auf das Aufkommen von Lebensmittelabfällen. Masterarbeit, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
- Stenmarck, Å., Jensen, C., Quested, T., Moates, G. (2016): FUSIONS, Estimates of European food waste levels
© Fotos: Dula Feichter