Stadtwildnis - Biodiversitätsförderung, Klimawandelminderung und -anpassung
Urbane Grünflächen, die der Natur überlassen werden, mit geringen bis keinen menschlichen Eingriffen (z.B. Pflege), werden als Stadtwildnis bezeichnet. Hier darf sich die Natur frei entfalten und je nach Standortbedingungen können sich unterschiedlichste Lebensräume entwickeln. Stadtwildnisflächen bieten nicht bloß wertvolle Lebensräume für die urbane Biodiversität (im Sinne zahlreicher Zielsetzungen z. B. der Wiener Wald- und Wiesencharta, sondern dienen zudem der aktiven Klimawandelanpassung (Regenwasserrückhalt, Abkühlung der Umgebung durch Verdunstungsleistung der Vegetation (besonders durch Stadtwälder) im Sinne des Wiener Strategieplans gegen urbane Hitzeinseln. Stadtwildnisflächen zeichnen sich zudem durch einen sehr geringen Pflegeaufwand aus, z. B. für Bewässerung, Mahd, Düngung etc., was wiederum Kosten-, Energie- und Treibhausgasemissionen einspart. Stadtbrachen und insbesondere Wälder binden zudem CO2. Dies kommt wiederum dem Ziel, 2040 Klimaneutralität zu erreichen, zugute. 

stadtbrache kleinÜberwiegende Akzeptanz von mehr Wildnis in Wien

Je nach gesellschaftlicher Gruppenzugehörigkeit können die Meinungen zu Stadtwildnisflächen auseinanderdriften - die einen schätzen sie als ungestörte Naturerfahrungsräume oder Abenteuerspielplätze, auf die anderen wirken sie verwahrlost. Ein aktuelles StartClim-Forschungsprojekt „Die Bedeutung und Akzeptanz von Stadtwildnis in Wien“ von der Universität für Bodenkultur in Kooperation mit der Wiener Umweltanwaltschaft untersuchte die Wahrnehmung und Akzeptanz von Stadtwildnis-Flächen bei Wiener*innen.

Vorab wurden unterschiedliche Stadtwildnis-Typen in Wien identifiziert:stadtwald klein

  • Stadtbrachen: entstehen auf ehemals genutzten Siedlungsstandorten z. B. Industrie- oder Gewerbegebieten, geprägt durch Gras-, Kraut-, Strauchschicht und Gehölze
  • Stadtwälder: dichte, forstwirtschaftlich nicht genutzte, kaum gepflegte, öffentlich zugängliche Wälder
  • Naturwiesen: selten gemähte Wiesen mit standortangepassten Pflanzenarten zur Biodiversitätsförderung, oft in Parkanlagen mit Informationstafeln

Durch einen online-Fragebogen wurden unter anderem die Assoziationen mit, die wahrgenommen Vor- und Nachteile der drei oben genannten Stadtwildnis-Typen, sowie die Akzeptanz oder Ablehnung der Umwandlung einer nächstgelegenen Rasenfläche oder eines neu zu gestaltenden Stadtareals in einen der drei Stadtwildnis-Typen erhoben.

Die Befragung von 800 Wiener*innen ergab, dass grundsätzlich der Großteil alle drei Stadtwildnis-Typen als Ersatz für monotone Rasenflächen in Parks (76 % bei Stadtbrachen und über 80 % bei Naturwiesen und Stadtwäldern) oder als Bestandteil neuer Stadtquartiere in ihrer Wohnumgebung (annähernd 80 % bei Stadtbrachen/89 % bei Naturwiesen/90 % bei Stadtwäldern) akzeptieren würde. Während etwa über 70 % eine Flächenumwandlung in eine Stadtwildnisfläche akzeptieren bzw. dulden würde, würden sich um die 10 % sogar aktiv dafür engagieren.

Geht es um die Gestaltung eines neuen Stadtquartiers in der Wohnumgebung der Befragten, würde sich der Großteil (nach mehr Wasserflächen) mehr Stadtwälder und Naturwiesen wünschen. Allgemein wurden Stadtwildnisflächen mit stärker gewichteten Vorteilen (z. B. Ökosystemdienstleistungen wie Klimaregulierung, Verbesserung der Luftqualität, Rückzugsort für Tiere und Pflanzen etc. oder ästhetischer- und Erholungswert) assoziiert, während potentielle Nachteile (z. B. Brandgefahr, Ausdruck der Vernachlässigung, Orte für antisoziales Verhalten z. B. Drogenkonsum) als weniger wichtig angesehen wurden.

Unterschiede zwischen sozialen Gruppen

naturwiese kleinDas bisherige Nutzungsverhalten von Stadtwildnisflächen ist besonders entscheidend für Akzeptanz: Häufige Nutzer*innen stehen einer Neuanlage von Stadtwildnis deutlich positiver gegenüber. Besonders Personen, die Stadtwildnis zum Beobachten von Tieren und Pflanzen aufsuchen, sprechen sich deutlich für Stadtwildnis aus und würden sich auch öfter aktiv dafür engagieren. Eine vielseitige Nutzung bisheriger Stadtwildnisflächen erhöht die Akzeptanz signifikant. Das bisherige Nutzungsverhalten von Stadtwildnisflächen variiert je nach Bevölkerungsgruppe. Personen mit Kindern besuchen Stadtwildnisflächen öfter, Stadtwälder werden von allen Befragten allgemein am häufigsten besucht, Stadtbrachen werden vergleichsweise von jüngeren (bis 24 Jahre) häufiger aufgesucht, während ältere vor allem Stadtwälder und Naturwiesen schätzen. Allgemein werden Stadtwildnisflächen vor allem zum Spazieren gehen, Beobachten von Flora und Fauna und Erkunden genutzt, von jüngeren Personen vermehrt auch für sportliche oder soziale Aktivitäten (z. B. Freunde treffen) oder kreative Zwecke (z. B. Bauen von Baumhäusern).

Das Alter der Befragten spielte ebenfalls eine große Rolle bei der Akzeptanz: Personen mittleren Alters sowie insbesondere jene von 55 – 75 Jahren, zeigten eine deutlich höhere Akzeptanz als jüngere Personen (zwischen 15 – 24). Der Akzeptanzunterschied zwischen Jung und Alt war bei der Umwandlung in eine Naturwiese besonders groß.

Junge Menschen und Personen mit geringem Bildungsstatus nahmen Vorteile wie Ökosystemdienstleistungen in einem geringeren Ausmaß wahr. Akademiker*innen bevorzugen hingegen eine Flächenumwandlung zu Stadtwäldern oder Naturwiesen besonders stark. Unter Personen mit Kindern unter 15 Jahren gab es Stimmen gegen eine Umwandlung einer Rasenfläche in eine Stadtwildnisfläche, da erstere beispielsweise gerne als Spielfläche von Kindern genutzt wird. Bevölkerungsgruppen, die der Umwandlung zu Stadtwildnisflächen eher kritisch gegenüberstanden, sehnen sich nach alternativen Flächennutzungen.

Je nach Stadtgebiet bietet sich für die Stadtplanung und städtische Grünflächenverwaltung an, verschiedene, auf die Bedürfnisse der jeweiligen Bevölkerungsgruppen abgestimmte Stadtwildnis-Typen zu fördern. Amstadtwildnis klein ehesten geht die Umwandlung zu Stadtwäldern, Stadtbrachen oder Naturwiesen in Stadtteilen mit hohem Anteil an jungen oder Personen mit Kindern und mit geringem Bildungsabschluss mit Konflikten einher. Auch die Wahrnehmung der Wohnumgebung ist entscheidend: Wird Wohnumgebung als vernachlässigt wahrgenommen (wenig Infrastruktur, wenige öffentliche Grünflächen, unterprivilegiert, geringe Mietpreise etc.), stehen die Bewohner*innen einer Förderung von Stadtwildnisfläche eher kritisch gegenüber. Bewohner*innen von dicht besiedelten, besser ausgestatteten Stadtteilen befürworten Stadtwildnisflächen hingegen viel eher.

Zusätzlich zu einer gut geplanten Situierung von Stadtwildnisflächen können Bewusstseinsbildung (Aufklärung bezüglich der Vorteile für das Stadtklima etc.), Informationstafeln vor Ort, sowie das Einbeziehen von Anrainer*innen die Akzeptanz steigern. Von besonderer Bedeutung ist es, Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen den Wert von Stadtwildnis zu vermitteln.

Eine Forcierung von Stadtwildnis als selten gewordener Rückzugsraum für Flora und Fauna sowie wertvoller Naturerfahrungsraum in einem Umfeld aus verbauten oder stark gepflegten Grünflächen wäre wünschenswert und könnte zahlreichen Stadtentwicklungszielen zugleich zugutekommen. Naturnahe Flächen wie die Schmetterlingswiese im Donaupark oder weitere, in unserem “Gstett’n-Führer” aufgelistete Stadtwildnisflächen erfreuen sich schon seit Langem großer Beliebtheit.

Mehr Informationen:

Start Clim 21/22 - Die Bedeutung und Akzeptanz von Stadtwildnis in Wien

© Fotos: Ramona Cech

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